
Prof. Ulrich Seiffert
Ehemaliges Vorstandsmitglied der Volkswagen AG für Forschung und Entwicklung, Experte für Innovation, Produktionstechniken und Engineering
Mut zu unbekannten Wegen
Ulrich Seiffert wurde 1941 in Waldenburg (heute Wałbrzych) geboren und wuchs zusammen mit drei Geschwistern in Niederschlesien auf, bis durch den Krieg die Familie über die damalige Tschechei nach Bayern fliehen musste. Dort lebte die protestantische Familie einige Zeit -zunächst ohne den Vater, der nach dem Krieg verschollen war. Zusammen mit anderen Flüchtlingskindern besuchte Ulrich eine Grundschule, Protestanten durften nicht mit Katholiken zusammen unterrichtet werden, wo alle Schüler der Klassen 1 bis 4 in einem Raum unterrichtet wurden. Als Achtjähriger durfte er seinen Vater in einem amerikanischen Gefangenenlager in Bayern besuchen, dort hat er seinen Vater das erste Mal kennengelernt. Sein Vater wurde vom ehemaligen Vorgesetzten in Schlesien nach Braunschweig ins Zollamt geholt. Die Teilfamilie zog in Etappen nach Braunschweig: Zunächst seine Schwester, dann Ulrich. Seine Mutter blieb mit den beiden Jüngsten noch in Bayern. Ein halbes Jahr lebte die Familie im Zollamt, bis sie eine Dreizimmerwohnung im Bebelhof bezog. Später folgte dann der Umzug nach Lehndorf, dort gab es mehr Zimmer und eine Mansarde.
Nach dreieinhalb Jahren an der Grundschule in Bayern und einer zweiwöchigen Aufnahmeprüfung in der Gaußschule, kam der Wechsel zur Oberschule. 128 Schüler wurden damals aufgenommen, Ulrich Seiffert war die Nummer 129. In der ersten Woche wurde Grundwissen geprüft und in der zweiten Woche wurde neuer Stoff gelehrt, da war er wesentlich besser. Dankbar ist er dem Direktor Dr. Dingerling, dass er ihn aufgenommen hat. 6 Die Familie Seiffert hatte einen Schrebergarten im Bebelhof, Ulrich musste als ältester Sohn viel helfen. Sein erster Job in Braunschweig „für ein paar Mark“ war bei einem Bauern in Mascherode. Klassenkameraden aus Mascherode machten sich über ihn lustig, wenn sie dort vorbeifuhren, dass er arbeiten musste. Weitere Jobs war der Hauswart der Nibelungen Gesellschaft im Alter von 14 Jahren. Ulrich ersetzte nicht nur Glühbirnen, sondern half auch bei der Schlichtung zwischen Mietparteien.
In den Ferien arbeitete er zunächst bei der Burgbrauerei und später bei Feldschlösschen, das wurde super bezahlt. Seine erste Tätigkeit war, bei Bierflaschen den Verschluss rauszumachen und das Stapeln der Bierkästen. Dann wurde er zur Arbeit am Füller eingeteilt. Seinen monatlichen Haustrunk hat er stets an seinen Vater verkauft. Ulrich war immer viel mit seinem Fahrrad der Panther Werke in Braunschweig unterwegs und radelte auch aus Lehndorf immer zum Löwenwall. Er konnte als Bester der Familie Fahrräder reparieren. Einen blauen Brief gab es auch einmal nach Hause aufgrund schlechter Noten, seine Versetzung war gefährdet, aber schließlich hat es doch gereicht. Latein war sein schlechtestes Fach, er erinnert sich an elendes Vokabellernen. Sein bestes Fach war Sport, er konnte gut laufen und war ein guter Leichtathlet. Sehr gute Erinnerungen hat Ulrich an das Harzheim. Während seiner Gaußschulzeit war er viel dort, vor allem mit seinem Lateinlehrer. Sogar am Wochenende ist er zusammen mit vier anderen Jungen mit dem Fahrrad hingefahren – aus Brauschweig, vier Stunden waren sie unterwegs und haben dann im Harzheim unter Anleitung Reparaturen vorgenommen.
Schließlich folgte ein – wie er sagt – brauchbares Abitur. Ulrich meldete sich freiwillig für ein Jahr Wehrdienst und zog in die Heinrich-der-Löwe-Kaserne ein, zusammen mit vier anderen Abiturienten. Das letzte Viertel des Wehrdienstes war in der Heeresoffiziersschule in Hamburg, so dass er als Fahnenjunker der Reserve entlassen wurde. Zurück in Braunschweig absolvierte er ein Praktikum am Volkswagen Standort Braunschweig und lernte unter anderem das Schweißen. So folgte ein Maschinenbaustudium in Braunschweig, das er nach nur zehn Semestern erfolgreich abschloss, spezialisiert auf Fahrzeugbau. Als frisch gebackener Ingenieur bewarb er sich bei Volkswagen und startete zunächst im Fahrzeugsicherheit-Versuch. In der folgenden Zeit wurden weitere Arbeitsgebiete bei ihm angesiedelt: die Produktanalyse, die Berechnung und die Fahrzeugtechnischen Vorschriften.1969 wurde er Abteilungsleiter und 1974 Hauptabteilungsleiter mit drei Abteilungen. 1974 hat er dann seine Dissertation zum Dr.-Ing. an der TU Berlin, die neben seiner Arbeit entstand, abgeschlossen.
1979 wurde Ulrich Seiffert dann Konzern-Forschungschef, auch weil er die Forschung im Vorfeld häufig kritisiert hatte und diese besser machen wollte. Damals war er einer der jüngsten Bereichsleiter bei Volkswagen, Toni Schmücker war zu der Zeit Vorstandvorsitzender und Prof. Fiala Vorstand für Forschung und Entwicklung. 1980 begann seine Zeit als nebenberuflicher Lehrbeauftragter für das Thema Fahrzeugsicherheit und 1986 wurde er zum Honorarprofessor an der TU Braunschweig ernannt. Unter Dr. Hahn wurde er dann als Höhepunkt seiner Karriere bei Volkswagen Konzernvorstand für die Forschung und Entwicklung und zeitweise auch für die Einkaufsstrategie und war Chef von 20.000 Mitarbeitern. Das Kapitel Volkswagen endete Ende 1995 nach 30 Jahren Tätigkeit, inzwischen war Herr Piëch Vorstandsvorsitzender, mit seiner Trennung von VW. Er war zunächst noch beratend für VW tätig und gründete neben dem Zentrum für Verkehr an der TU Braunschweig auch die Witech Engineering GmbH und führte seine Vorlesung an der TU BS zum Thema Fahrzeugsicherheit bis zum Jahr 2006 weiter. Er übernahm mehrere Ehrenämter, sowie Beiratstätigkeiten in Wissenschaft, Industrie und sozialen Einrichtungen. Auch digitalisierte er seine Veröffentlichungen, zum Teil in Englisch und Chinesisch und blickt heute auf zehn Bände, mit je mehr als 1000 Seiten zurück. Rückblickend sagt er, dass es ihm große Freude gemacht hat, bis zur Vollendung seines 82. Lebensjahr tätig zu sein, und er möchte aktuellen und künftigen Schülergenerationen folgendes mit auf den Weg geben: Es ist notwendig und lohnt sich, ein Leben lang tätig zu sein, sich weiter zu bilden und sich zu trauen neue Aufgaben zu übernehmen.